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Die Gabe der Gastfreundschaft

Definition und Wortbedeutung

Der Begriff „Gastfreundschaft“ leitet sich vom griechischen Wort „φιλοξενία“ (philoxenía) ab, das im Neuen Testament für diese geistliche Gabe verwendet wird. Dieses Wort setzt sich aus zwei Begriffen zusammen:

  • φίλος (phílos): bedeutet „Freund“ oder „einer, der liebt“
  • ξένος (xénos): bedeutet „Fremder“, „Gast“ oder „Ausländer“

Wörtlich übersetzt bedeutet philoxenía also „Liebe zu Fremden“ oder „Freundlichkeit gegenüber Gästen“. Diese Wortzusammensetzung verdeutlicht, dass es bei dieser Gabe um mehr geht als nur um das gelegentliche Einladen von Freunden. Es handelt sich vielmehr um eine tiefe innere Haltung der Offenheit und Fürsorge für Menschen außerhalb des eigenen Familienkreises, besonders für Bedürftige, Reisende und Fremde.

Biblische Grundlage

Die Gabe der Gastfreundschaft wird an mehreren Stellen im Neuen Testament direkt erwähnt und gefördert:

  • Römer 12,13: „Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft (philoxenía).“
  • Hebräer 13,2: „Gastfrei (philoxenía) zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“
    1. Petrus 4,9: „Seid gastfrei (philóxenos) untereinander ohne Murren.“
    1. Timotheus 3,2: Ein Bischof soll „gastfrei“ (philóxenos) sein (als eine der Qualifikationen für Gemeindeleiter).
  • Titus 1,8: Der Älteste soll „gastfrei“ (philóxenos) sein.

Darüber hinaus gibt es zahlreiche biblische Beispiele für Gastfreundschaft:

Im Alten Testament:

  • Abraham und Sara, die drei Besucher bewirten (1. Mose 18,1-8)
  • Lot, der zwei Engel in Sodom aufnimmt (1. Mose 19,1-3)
  • Rebekka, die Abrahams Knecht und seine Kamele versorgt (1. Mose 24,15-25)
  • Die Witwe von Sarepta, die den Propheten Elia aufnimmt (1. Könige 17,8-16)
  • Die Schunemiterin, die Elisa ein Zimmer einrichtet (2. Könige 4,8-10)

Im Neuen Testament:

  • Martha und Maria, die Jesus in ihr Haus einladen (Lukas 10,38-42)
  • Zachäus, der Jesus in sein Haus aufnimmt (Lukas 19,1-10)
  • Lydia, die Paulus und seine Begleiter beherbergt (Apostelgeschichte 16,14-15)
  • Priszilla und Aquila, die ihr Haus für Gemeindeversammlungen öffnen (Römer 16,3-5)
  • Gajus, der von Paulus als „Gastgeber für mich und für die ganze Gemeinde“ bezeichnet wird (Römer 16,23)

Gastfreundschaft im biblischen Kontext

Im Alten Testament

Im alten Israel und im gesamten Nahen Osten war Gastfreundschaft mehr als eine soziale Tugend – sie war eine heilige Pflicht. In einer Zeit ohne Hotels und mit gefährlichen Reisebedingungen konnte die Verweigerung von Gastfreundschaft lebensbedrohlich sein. Daher wurde sie als moralische und religiöse Verpflichtung angesehen:

  • Das Gesetz des Mose enthielt spezifische Anweisungen zum Umgang mit Fremden (3. Mose 19,33-34)
  • Gastfreundschaft wurde als Ausdruck der Barmherzigkeit Gottes verstanden
  • Sie war ein Zeichen des Bundes und der Gerechtigkeit
  • Propheten kritisierten den Mangel an Gastfreundschaft als Zeichen moralischen Verfalls (Jesaja 58,6-7)

Im Neuen Testament

In der frühen Kirche wurde Gastfreundschaft zu einem zentralen Ausdruck christlicher Liebe und Gemeinschaft:

  • Die ersten Christen trafen sich in Häusern (Apostelgeschichte 2,46)
  • Reisende Apostel, Evangelisten und Lehrer waren auf Gastfreundschaft angewiesen
  • Jesus selbst hatte kein eigenes Zuhause und war auf die Gastfreundschaft anderer angewiesen (Lukas 9,58)
  • Jesus identifizierte sich mit dem Fremden, der Gastfreundschaft empfängt (Matthäus 25,35.38.43-45)
  • Die frühchristliche Gastfreundschaft überwand soziale, ethnische und religiöse Grenzen

Kennzeichen und Ausdrucksformen der Gabe der Gastfreundschaft

Kennzeichen

Menschen mit der Gabe der Gastfreundschaft zeigen typischerweise folgende Merkmale:

  • Natürliche Offenheit: Eine grundlegende Bereitschaft, das eigene Leben und den eigenen Raum mit anderen zu teilen
  • Aufmerksamkeit für Bedürfnisse: Die Fähigkeit, die Bedürfnisse von Gästen intuitiv zu erkennen
  • Vermittlung von Zugehörigkeit: Die Gabe, Menschen ein Gefühl des Willkommenseins und der Zugehörigkeit zu geben
  • Großzügigkeit: Eine Freigebigkeit mit Zeit, Raum und Ressourcen
  • Organisationstalent: Die Fähigkeit, auch spontan eine einladende Atmosphäre zu schaffen
  • Dienstbereitschaft: Freude daran, anderen zu dienen, ohne Gegenleistung zu erwarten
  • Kulturelle Sensibilität: Respekt und Interesse für unterschiedliche Gewohnheiten und Traditionen
  • Geduld: Die Fähigkeit, auch anspruchsvolle Gäste liebevoll zu ertragen
  • Uneigennützigkeit: Die Bereitschaft, eigene Bedürfnisse zurückzustellen

Ausdrucksformen

Die Gabe der Gastfreundschaft kann sich in verschiedenen Formen ausdrücken:

  • Häusliche Gastfreundschaft: Das Öffnen des eigenen Zuhauses für Mahlzeiten, Übernachtungen oder längere Aufenthalte
  • Gemeindliche Gastfreundschaft: Die Schaffung einer willkommenden Atmosphäre in der Gemeinde, besonders für Besucher und Neuankömmlinge
  • Kulturübergreifende Gastfreundschaft: Die besondere Fähigkeit, Menschen aus anderen Kulturen und Sprachräumen willkommen zu heißen
  • Seelsorgerliche Gastfreundschaft: Das Schaffen eines sicheren Raumes für persönliche Gespräche und emotionale Unterstützung
  • Internationale Gastfreundschaft: Die Aufnahme von Missionaren, internationalen Studenten oder Flüchtlingen
  • Digitale Gastfreundschaft: Das Schaffen einladender Online-Räume und virtueller Gemeinschaft
  • Therapeutische Gastfreundschaft: Die Schaffung heilsamer Räume für Menschen in Krisen oder mit traumatischen Erfahrungen

Theologische Perspektiven zur Gabe der Gastfreundschaft

1. Die trinitarische Perspektive

Diese Sichtweise betont:

  • Gott selbst ist gastfreundlich – der Vater, der Sohn und der Heilige Geist laden die Menschheit in ihre Gemeinschaft ein
  • Der dreieinige Gott ist sowohl Gastgeber als auch Gast in der menschlichen Geschichte
  • Die Inkarnation als göttlicher Akt der Gastfreundschaft – Gott wird Mensch und teilt unser Leben
  • Die Eucharistie als fortdauerndes Gastmahl, bei dem Christus sowohl Gastgeber als auch Speise ist

2. Die ekklesiologische Perspektive

Dieser Ansatz unterstreicht:

  • Die Kirche als Gemeinschaft der Gastfreundschaft
  • Gemeinde als Ort, an dem soziale Barrieren überwunden werden
  • Die Verbindung zwischen Gastfreundschaft und kirchlicher Einheit
  • Die prophetische Dimension der Gastfreundschaft als Gegenmodell zur Ausgrenzung in der Gesellschaft

3. Die eschatologische Perspektive

Diese Sichtweise hebt hervor:

  • Gastfreundschaft als Vorgeschmack auf das himmlische Festmahl
  • Die Spannung zwischen dem „Schon jetzt“ und dem „Noch nicht“ des Reiches Gottes
  • Das Potential der Transformation durch die Begegnung mit dem Fremden
  • Die Gastfreundschaft als Zeichen der kommenden vollkommenen Gemeinschaft mit Gott

Biblische Beispiele der Gabe der Gastfreundschaft

1. Abraham und Sara (1. Mose 18,1-8)

Als Paradigma alttestamentlicher Gastfreundschaft:

  • Sie empfingen drei Fremde in der Hitze des Tages
  • Abraham lief ihnen entgegen und verbeugte sich
  • Sie boten Wasser zur Fußwaschung, Schatten zur Ruhe und ein reichhaltiges Mahl an
  • Ihre Gastfreundschaft führte zu einer göttlichen Begegnung und Verheißung
  • Diese Geschichte wird in Hebräer 13,2 als Beispiel dafür genannt, dass man durch Gastfreundschaft „Engel beherbergt“

2. Lydia (Apostelgeschichte 16,14-15)

Als Beispiel neutestamentlicher Gastfreundschaft:

  • Als erste europäische Konvertitin öffnete sie sofort ihr Haus für Paulus und seine Gefährten
  • „Und als sie und ihr Haus getauft wurden, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.“
  • Ihre Gastfreundschaft schuf eine Basis für die Missionsarbeit in Philippi

3. Priszilla und Aquila

Als Beispiel für gemeindestiftende Gastfreundschaft:

  • Dieses Ehepaar öffnete ihr Haus für Gemeindeversammlungen (Römer 16,3-5; 1. Korinther 16,19)
  • Sie nahmen Apollos auf und unterwiesen ihn genauer im Glauben (Apostelgeschichte 18,26)
  • Ihre mobile Gastfreundschaft zeigte sich an verschiedenen Orten (Rom, Korinth, Ephesus)

4. Jesus als Gastgeber und Gast

Als zentrales biblisches Vorbild:

  • Jesus als Gast bei vielen (Simon der Pharisäer, Zachäus, Martha und Maria)
  • Jesus als Gastgeber bei der Speisung der Fünftausend, dem letzten Abendmahl
  • Jesus, der sich mit dem Fremden identifiziert: „Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen“ (Matthäus 25,35)
  • Der auferstandene Jesus als Gast und dann als erkannter Gastgeber in Emmaus (Lukas 24,13-35)

Anwendung und Praxis der Gabe der Gastfreundschaft

Grundhaltungen für die Ausübung der Gabe

Die Bibel und die christliche Tradition betonen bestimmte Grundhaltungen, die für die Ausübung authentischer Gastfreundschaft wesentlich sind:

1. Einfachheit und Authentizität:
  • „Seid gastfrei untereinander ohne Murren“ (1. Petrus 4,9)
  • Nicht die Perfektion des Ambientes, sondern die Herzlichkeit der Aufnahme ist entscheidend
  • Keine falsche Erwartung an die eigene Leistung oder das eigene Zuhause
2. Gegenseitigkeit und Respekt:
  • Achtung der Würde und Autonomie des Gastes
  • Bereitschaft, vom Gast zu lernen und zu empfangen
  • Balance zwischen Aufmerksamkeit und Freiraum für den Gast
3. Großzügigkeit ohne Berechnung:
  • „Wenn du ein Mahl machst, so lade die Armen, die Verkrüppelten, die Lahmen, die Blinden ein, dann wirst du selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten“ (Lukas 14,13-14)
  • Überwindung von Statusdenken und sozialer Exklusivität
4. Offenheit für die Begegnung mit Gott:
  • Erkenntnis, dass Christus im Fremden begegnen kann
  • Aufmerksamkeit für die geistliche Dimension der Begegnung

Entwicklung und Förderung der Gabe der Gastfreundschaft

Obwohl es sich um eine Geistesgabe handelt, kann die Gastfreundschaft kultiviert und entwickelt werden:

1. Geistliche Vorbereitung:
  • Gebet um ein offenes Herz für Menschen
  • Reflexion der eigenen Erfahrungen als Gast und Gastgeber
  • Meditation biblischer Beispiele der Gastfreundschaft
2. Praktische Einübung:
  • Mit kleinen, überschaubaren Schritten beginnen
  • Regelmäßige Übung, z.B. durch monatliche Einladungen
  • Entwicklung praktischer Routinen und Abläufe
3. Gemeinschaftliche Unterstützung:
  • Austausch mit anderen, die diese Gabe praktizieren
  • Gemeinsame Gastfreundschaftsprojekte in der Gemeinde
  • Gegenseitige Ermutigung und konstruktives Feedback
4. Kulturelle Bildung:
  • Kennenlernen anderer kultureller Traditionen der Gastfreundschaft
  • Sprachliche Grundkenntnisse für interkulturelle Begegnungen
  • Sensibilität für unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen
5. Ressourcenmanagement:
  • Kluger Umgang mit Zeit, Raum und finanziellen Mitteln
  • Nachhaltigkeit in der Praxis der Gastfreundschaft
  • Vermeidung von Überforderung und Burnout

Die Gabe der Gastfreundschaft im Verhältnis zu anderen Gaben

Die Gabe der Gastfreundschaft steht in besonderer Beziehung zu anderen Geistesgaben:

  1. Dienst/Diakonie: Gastfreundschaft ist eine spezifische Form des Dienstes, fokussiert auf die Schaffung einladender Räume.
  2. Barmherzigkeit: Beide Gaben teilen das Mitgefühl für die Bedürfnisse anderer, doch Gastfreundschaft betont stärker die Begegnung auf Augenhöhe.
  3. Ermahnung/Ermutigung: Die geschützten Räume der Gastfreundschaft bieten einen idealen Kontext für ermutigende Gespräche.
  4. Leitung: Gastfreie Führungspersönlichkeiten schaffen eine einladende Organisationskultur.
  5. Geben: Gastfreundschaft ist eine Form des Gebens, bei der nicht nur materielle Güter, sondern auch Zeit, Raum und Aufmerksamkeit geteilt werden.
  6. Evangelisation: Gastfreundschaft schafft natürliche Gelegenheiten, den Glauben zu teilen, ohne aufzudrängen.

Gefahren und Herausforderungen

Die Gabe der Gastfreundschaft birgt auch spezifische Versuchungen und Herausforderungen:

1. Erschöpfung und Burnout:

  • Überforderung durch zu viele oder zu anspruchsvolle Gäste
  • Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse und der Familie
  • Mangel an gesunden Grenzen und Ruhezeiten

2. Perfektionismus:

  • Der Druck, alles „perfekt“ machen zu müssen
  • Vergleich mit idealisierten Vorstellungen von Gastfreundschaft
  • Die Tendenz, den materiellen Aspekt über die Beziehungsebene zu stellen

3. Selektivität:

  • Die Versuchung, nur bestimmte „angenehme“ oder statuserhöhende Gäste einzuladen
  • Vermeidung von Gästen mit besonderen Herausforderungen
  • Unbewusste kulturelle oder soziale Barrieren aufrechterhalten

4. Vereinnahmung:

  • Die Gefahr, Gäste zu kontrollieren oder zu manipulieren
  • Mangelnder Respekt für die Privatsphäre und Autonomie der Gäste
  • Überschreitung persönlicher Grenzen

5. Unausgewogenheit:

  • Vernachlässigung anderer geistlicher Disziplinen zugunsten ständiger Bewirtung
  • Ungleichgewicht zwischen Geben und Selbstfürsorge
  • Kompensation emotionaler Bedürfnisse durch übermäßige Gastfreundschaft

Praktische Anwendung in verschiedenen Kontexten

1. In der Gemeinde

  • Willkommensdienst für Besucher und Neuankömmlinge
  • Integration neuer Gemeindeglieder
  • Hauskreise und offene Abende
  • Gemeinsame Mahlzeiten nach dem Gottesdienst
  • Unterbringung von Missionaren, Referenten oder Bedürftigen
  • Interkulturelle Begegnungen und Flüchtlingsarbeit

2. In der Familie

  • Das Familienheim als Ort der Offenheit für andere
  • Einbeziehung der Kinder in die Praxis der Gastfreundschaft
  • Gemeindeglieder „adoptieren“ (z.B. alleinstehende Senioren, Studenten)
  • Balance zwischen Familienleben und Gastfreundschaft finden
  • Verschiedene Familienmitglieder gemäß ihrer Gaben einbeziehen

3. In der Gesellschaft

  • Nachbarschaftsprojekte und offene Gärten
  • Gastfreundschaft am Arbeitsplatz
  • Einladungen für internationale Studenten oder Berufskolleginnen
  • Engagement in Initiativen für Obdachlose, Geflüchtete oder Einsame
  • Öffentliche Räume gastfreundlicher gestalten

4. In der Mission und Evangelisation

  • Gastfreundschaft als Brücke zu Nichtchristen
  • Niederschwellige Angebote wie Alphakurse mit gemeinsamen Mahlzeiten
  • Schaffung „dritter Orte“ zwischen Kirche und säkularer Welt
  • Interkulturelle Gastfreundschaft in der globalen Mission
  • Gastfreie Gemeindegründungen

Kirchengeschichtliche Perspektive

Die Gabe der Gastfreundschaft hat in der Kirchengeschichte verschiedene Ausdrucksformen gefunden:

1. In der frühen Kirche:

  • Gemeindehäuser als Zentren der Gastfreundschaft
  • Reisende Christen mit „Empfehlungsbriefen“ wurden aufgenommen
  • Diakone und Diakoninnen waren speziell mit der Ausübung der Gastfreundschaft betraut
  • Der „Fremdenfreund“ (ξενοδόχος) als offizielles Amt in manchen Gemeinden

2. Im Mittelalter:

  • Klöster als Zentren der Gastfreundschaft (Benediktinerregel: „Der Gast soll aufgenommen werden wie Christus selbst“)
  • Hospize und Herbergen für Pilger
  • Armenhäuser und Hospitäler
  • Festkultur und Tischgemeinschaft als Ausdruck christlicher Gemeinschaft

3. In der Reformationszeit:

  • Pfarrhäuser als Orte der Gastfreundschaft und des theologischen Austausches
  • Aufnahme von Glaubensflüchtlingen
  • Katechismusunterricht in Hausgemeinschaften

4. In der neueren Zeit:

  • Gemeinschaftsbewegungen und intentionale Kommunen
  • Taizé und andere ökumenische Gemeinschaften
  • Offene Häuser in der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung
  • Neue Formen digitaler und hybrider Gastfreundschaft

Gastfreundschaft in verschiedenen kulturellen Kontexten

Die Praxis der Gastfreundschaft variiert stark zwischen verschiedenen Kulturen:

Naher Osten und Mittelmeerraum:

  • Hochentwickelte Traditionen der Gastfreundschaft mit komplexen Ritualen
  • Der Gast genießt besonderen Schutz und Ehre
  • Großzügige Bewirtung als soziale Verpflichtung
  • Familienhäuser offen für erweiterte Verwandtschaft und Gemeinschaft

Asiatische Kulturen:

  • Respekt und Ehrerbietung gegenüber Gästen
  • Komplexe Etikette und Reziprozität
  • Betonung von Harmonie und indirekter Kommunikation
  • Gastfreundschaft oft mit Statusmarkierungen verbunden

Afrikanische Kulturen:

  • Gemeinschaftsorientierte Gastfreundschaft
  • Großzügiges Teilen auch bei begrenzten Ressourcen
  • Betonung von Zeit und Beziehung über materielle Aspekte
  • Traditionelle Rituale des Willkommens

Westliche/Europäische Kulturen:

  • Tendenziell stärkere Betonung der Privatsphäre
  • Oft formellere, geplante Einladungen
  • Herausforderung durch individualisierte Lebensstile
  • Wiederentdeckung der Gastfreundschaft als Gegenbewegung zur Vereinzelung

Zusammenfassung

Die Gabe der Gastfreundschaft (φιλοξενία) ist eine grundlegende christliche Tugend und geistliche Begabung, die im Leben der Gemeinde eine zentrale Rolle spielt. Sie umfasst die besondere Fähigkeit und Bereitschaft, Menschen willkommen zu heißen, aufzunehmen und ihnen einen Raum der Zugehörigkeit zu schaffen.

In der biblischen Tradition wird Gastfreundschaft nicht als optionale soziale Höflichkeit, sondern als wesentlicher Ausdruck des Glaubens verstanden. Sie spiegelt Gottes eigene Gastfreundschaft wider, der die Menschheit in seine Gemeinschaft einlädt, und orientiert sich am Vorbild Christi, der sowohl als Gast als auch als Gastgeber wirkte.

Die Praxis der Gastfreundschaft überwindet soziale, kulturelle und religiöse Barrieren und schafft Räume der Begegnung, der Heilung und der Transformation. Sie bietet in einer zunehmend fragmentierten und individualisierten Gesellschaft ein prophetisches Gegenmodell der Gemeinschaft und Verbundenheit.

Menschen mit der Gabe der Gastfreundschaft tragen wesentlich zur Bildung authentischer Gemeinschaft bei, integrieren Außenstehende, schaffen sichere Räume für persönliches Wachstum und öffnen Türen für die Verkündigung des Evangeliums durch gelebte Liebe.

Die Entwicklung dieser Gabe erfordert sowohl geistliche Haltungen wie Großzügigkeit, Demut und Aufmerksamkeit als auch praktische Fertigkeiten und kluge Ressourcennutzung. Trotz der Herausforderungen von Erschöpfung, Perfektionismus oder Selektivität bleibt die Gastfreundschaft ein unverzichtbarer Ausdruck christlicher Liebe und ein kraftvolles Zeugnis für das Reich Gottes.

Schlüsselverse zur Gabe der Gastfreundschaft

  • Römer 12,13: „Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft (philoxenía).“
  • Hebräer 13,2: „Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“
    1. Petrus 4,9-10: „Seid gastfrei untereinander ohne Murren. Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.“
    1. Timotheus 3,2: „Ein Bischof aber soll untadelig sein, Mann einer einzigen Frau, nüchtern, maßvoll, würdig, gastfrei, geschickt im Lehren.“
  • Titus 1,7-8: „Denn ein Bischof soll untadelig sein als ein Haushalter Gottes […], gastfrei, gütig, besonnen, gerecht, fromm, enthaltsam.“
    1. Johannes 5-8: „Mein Lieber, du handelst treu in dem, was du an den Brüdern tust, zumal an den fremden, die deine Liebe bezeugt haben vor der Gemeinde; und du wirst gut daran tun, wenn du sie weitergeleitest, wie es würdig ist vor Gott. Denn um seines Namens willen sind sie ausgezogen und nehmen von den Heiden nichts an. So sollen wir nun solche aufnehmen, damit wir Mitarbeiter der Wahrheit werden.“
  • Matthäus 25,35: „Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.“
  • Lukas 14,12-14: „Er sprach aber auch zu dem, der ihn eingeladen hatte: Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machst, so lade weder deine Freunde noch deine Brüder noch deine Verwandten noch reiche Nachbarn ein, damit sie dich nicht etwa wieder einladen und dir vergolten wird. Sondern wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein, dann wirst du selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten; es wird dir aber vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.“
  • Genesis 18,1-8: „Und der HERR erschien ihm im Hain Mamre, während er an der Tür seines Zeltes saß, als der Tag am heißesten war. Und als er seine Augen aufhob und sah, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Und als er sie sah, lief er ihnen entgegen von der Tür seines Zeltes und neigte sich zur Erde…“
  • Apostelgeschichte 16,15: „Als aber sie und ihr Haus getauft wurden, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.“
  • Römer 16,23: „Es grüßt euch Gajus, mein und der ganzen Gemeinde Gastgeber.“
  • Lukas 10,38: „Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf.“
  • Hiob 31,32: „Der Fremde musste nicht draußen bleiben, sondern meine Tür tat ich dem Wanderer auf.“
  • Jesaja 58,7: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!“